Handegg - Stilli Wasser (21 SL, 1000m)

Bereits im 2015 erschloss das Trio Hofer/Schnarf/Siebenthal die fast 1000m (!) lange Route "Stilli Wasser" an der Handegg, aber erst 2017 wurde mehr davon auf Filidor öffentlich (hier). Ich weiss nicht wann ich das erste Mal darauf aufmerksam wurde, aber eine gewisse Neugier trug ich gefühlt schon länger mit mir, da bis auf einen knappen Bericht von 2023 (hier) wenig über die Route im Internet zu finden war.

Monumental: Verlauf der ersten 10 Längen von Stilli Wasser und danach der ungefährer Verlauf. Rechts in grün der ungefähre Verlauf der Route Chamäleon.

Fazit

In Bezug auf Weitläufigkeit setzt "Stilli Wasser" definitiv Massstäbe - 1000m lang reiht sich eine 50m Länge an die nächste, man könnte sagen ein "El Cap in flach". Durch den einmalig kurzen Zustieg (15 min) und den überwiegend plattigen Charakter wird diese enorme Distanz erst bewältigbar und es bleibt trotzdem eine Herausforderung es innert Tageslicht hoch & runter zu schaffen. Der Fels ist weitgehend gut bis sehr gut, ein paar wenige "Übergangslängen" fallen nicht gross ins Gewicht.

Die angegebenen Schwierigkeitsbewertungen schienen uns meist plausibel gemessen an Handegg-Standards. Generell sind die Schwierigkeiten jeweils eher kurz. Das angegebene 6b+ obl. gilt wohl nur wenn man in L13 stur in gerader Linie von einem Haken zum nächsten schleicht. Sucht man konsequent den einfachsten Weg, kommt man eher mit einem 6a obl. davon. Die Crux in L2 (7a) konzentriert sich auf einen Boulderzug, mit Hakenhilfe ist die Länge eher 6b+ 1 p.a. Auch L3 (6c) liesse sich zur Not technisch bewerkstelligen.

Was die Absicherung angeht, hinterliess die Route bei uns gemischte Gefühle. Den Grossteil der Absicherung würde ich als "okay", d.h. relativ zu den Schwierigkeiten, 
beschreiben. Das hängt natürlich stark vom eigenen Schwierigkeitsempfinden ab. Trotzdem bleiben einige Stellen, die unserem Empfinden nach ungenügend abgesichert sind, dh. reibungslastige, nicht mobil absicherbare Passagen, wo ein Sturz ins flache Gelände vermutlich Verletzungen zur Folge hat. In dieser Hinsicht besonders heikel erschien uns L17 (6a+), aber auch L13 (6b+), L11 (6a+) und L9 (6a+). Die steilen, nominell schwersten Längen L2 (7a) und L3 (6c) waren sehr eng abgesichert.

Die Erstbegeher empfehlen Cams #0.4 - #2 mitzuführen. Wir konnten mobile Sicherungen nur sehr vereinzelt einsetzen, waren dann aber jeweils froh darüber. Ebenfalls brachten wir zwar nur einmalig, aber gewinnbringend Micro-Cams & einen mittleren Keil zum Einsatz. Unsere Empfehlung lautet also Micro-Cams, #0.3 - #2, mittlere Keile (siehe Beschreibung für Details).

Das Hakenmaterial war bei unserer Begehung (11.Okt 2025, bis und mit L17) in Ordnung, bis auf den Stand nach L9, der lediglich einen intakten BH + Schnur an Latsche aufweist. Auch fehlte das zweite Plättli in L9, das essentiell für den Nachsteiger ist, weil sonst aus der Crux ein 15m Pendler droht. Wir haben es ersetzt, jedoch nicht festgezogen, da wir den Schlüssel im Rucksack vergessen hatten. Weiters waren im Bereich L9-L14 wiederholt Plättli "angeschlagen", dh. das Risiko dass man einen BH abgeschert vorfindet, besteht weiterhin.

Zuletzt sollte man noch beachten, dass falls Wasserstreifen sichtbar sind, die Route zwischen L8 bis anfangs L13 ziemlich sicher betroffen ist, z.T. auch in schwierigen Abschnitten.

Tag unserer Begehung

Um 6:00 Uhr las ich Marc in Zürich auf und wir erreichten nach ein paar Stops kurz nach 08:00 Uhr die Handegg. Da aktuell beim Kraftwerk gebaut (und hörbar gesprengt) wird, parkt man am besten bereits beim "Bügeleisen-Zustieg" - was auch sonst die beste Option für "Stilli Wasser" darstellt. Marcel Dettling hat die aktuelle Parksituation (hier) schön skizziert.

Kurz vor 08:30 Uhr standen wir am Einstieg, der mit einem BH markiert ist.

L1 6a+ (#0.75)

Bereits am ersten BH gehts plattig los. Danach biegt man links an die Kante und passiert diverse steilplattige Passagen. Die Absicherung vernünftig, aber nicht nach Belieben. Ein BH im oberen Teil schien mir etwas weit rechts geraten. Ein alter, historischer Ringbohrhaken in der vermeintlich logischen Linie wirkte in dieser Hinsicht bestätigend. Insgesamt ein gut verdauliches Einwärmen.

Blick zurück in L1 (6a+).

L2 7a (#0.75)

Die genaue Art und Weise der Crux-Länge hatte mich beim Studieren der Steilstufe immer schon Wunder genommen - wie würde es hier wohl durchgehen?
Tatsächlich wird die Steilheit durch zwei Absätze gebrochen, deren Erklimmen dann auch die wesentlichen (Boulder-)Probleme dieser Länge darstellen. Die erste Stufe geht noch relativ moderat, die zweite stellt die eigentliche Crux dar. Zuerst gilt es sich pressig in dem steilen Winkel zu etablieren und dann irgendwie die Reichweite an die rettende Kante herzustellen. Das Auflösen dieser Position ist aber nicht weniger schwierig und wir blieben den Beweis für die Ausführbarkeit schuldig. Dadurch können wir auch nicht mit Sicherheit sagen ob diese Sequenz 7a oder doch eher 7A ist...Immerhin ist hier A0 kein Problem und so bleibt nur noch eine kurze Querung zum Stand.

Reichweitenproblem in der steilen Crux von L2 (7a).

L3 6c

Hier muss man bereits bei den ersten Moves aus dem Stand raus parat sein und sich kurz ein paar kleiner Käntli bedienen. Ein Mantle befördert einen in die geniale, aber abdrängende V-Verschneidung oberhalb. Hier ist räumliches Vorstellungsvermögen und Vertrauen in Gegendruck gefragt, immerhin bei sehr guter Absicherung. Oberhalb der Steilstufe geht es dann leichter und weiträumiger abgesichert zum Stand.

L3 ist fotoscheu, darum ein Überblicksbild von L2 (7a) & die V-Verschneidung von L3 (6c) am Horizont, etwas recht der Mitte.

L4 6b+ (#2)

Zunächst gehts einfach weiter in gestuftem und ein wenig grasdurchzogenem Gelände. Ein langer Abstand (abgesehen von einem alten Ringhaken) führt über eine geneigte Platte an eine Steilstufe, wo der erste Bolt reichlich hoch steckt, immerhin kann man kurz davor noch einen super #2 legen. Die Wand-Crux ist dann kurz und technisch, hier dann auch gut abgesichert. Mit viel Seilzug eiert man zuletzt noch durch einen plattigen Runout zum Stand.
Plattiger Runout am Ende von L4 (6b+).

L5 6a

Schöne Platten mit gelegentlichen Stufen, recht einfach bis kurz vor dem Stand wo ein paar subtilere Plattenmoves gefragt sind. Vergleichsweise recht gut verdaulich.

Plaisir Vibes in L5 (6a).

L6 5c

Wiederum einfache Platten führen an einen langen, runden Rücken wo ein paar stumpfe Risse die Passage in der steileren Platte ermöglichen. Hier steckt ein Bohrhaken sehr weit links, es scheint fast als wären die Erstbegeher magisch von dem plattigsten Teil des Rückens angezogen worden, aber dann doch wieder auf den "logischen" Weg zurückgekehrt.

Blick zurück auf den plattigen Rücken in L6 (5c)

L7 5b

Kurz quert man noch den plattigen Buckel, bevor die Länge eher Übergangscharakter durchs Gras annimmt. Man steige nicht zu weit hoch, sondern suche den "felsigsten" Weg in die Rinne, hier versteckt sich dann auch noch ein BH.

Mässig gutes Bild von L7 (5b) mit der grasigen Querung im oberen Teil nach rechts.

L8 4a

Sehr flaches Gelände, aber in bestem, plattigem Fels. Drei Bohrhaken dienen vor allem der Orientierung. Die Stufe am letzten BH war bei unserer Begehung weiträumig nass, im Nachstieg kletterbar, im Vorstieg querte ich aber lieber weiter unterhalb, nicht zuletzt weil der BH unangenehm tief steckt und ein Ausrutscher ziemlich sicher auf der Platte endet. Den Stand erreicht man dann mit einer ziemlich deutlichen Rechtsschleife.

Blick zurück auf die kompakten Platten von L8 (4a).

L9 6a+

Gleich nach dem Stand gilt es einen recht plattigen Buckel zu meistern. Diese Stelle ist wohl gern noch nass, so auch teilweise bei uns. Es ging so knapp auf Anhieb, notfalls kommt man ggf. mit auf den Bolt stehen auch bei Nässe weiter. Auf diese erste Plattencrux folgt ein markanter Quergang nach links. Hier fehlte bei uns das Plättli für den Nachsteiger-BH, glücklicherweise hatten wir Ersatz dabei, ansonsten kommt der Nachsteiger arg ins Schwitzen, selbst wenn die Crux trocken ist. Man beachte, dass wir die Mutter nur von Hand festziehen konnten - besser selbst Reserve (und Schlüssel...) mitnehmen.
Am Ende des Quergangs gehts nochmal voll in die Platte - unangenehmerweise steckt der Bolt voll im Siff. So kommt zu dem eh schon grossen Abstand auch noch seitlicher Versatz hinzu...unser Vorsteiger schenkte sich das Risiko und beschritt den sicheren Weg durch einen grasigen Riss.

Bemerkung: Der Stand am Ende von L9 wurde durch Steinschlag beschädigt. Dadurch ist lediglich ein BH + Schnur an Latsche vorhanden.

Die Crux von L9 (6a+) am ersten BH ist gern noch nass. Hätten wir das Plättli am zweiten BH nicht ersetzen können wärs haarig für den Nachsteiger geworden (dritter Bolt erst dort wo der Kletterer im Bild steht).

Der lädierte Stand am Ende von L9.

L10 2a

Man geht im Gras nach links um die Steilstufe herum und erklimmt einen grasigen Kanal dahinter. Der Stand ist etwas schwierig zu erspähen, vor allem weil auch sonst wenig BH stecken (konkret: keiner in L10, einer anfangs L11, danach 20m nix).
Unangenehmerweise muss man den Stand dann auch noch deutlich schwieriger als 2a anklettern.

Die letzten, ungesicherten Meter zum Stand von L10 (2a !?!?) 

L11 6a+

Ein kurzer, aber cooler Badewannenwinkel bringt einen zu nochmals einer recht plattigen Stelle. Schade steckt hier der BH so tief. Danach kommt ziemlich genau 20 Meter lang kein Bohrhaken, es ist zwar plattig-einfach, aber die Orientierung ist schwierig, die Wasserstreifen zwingend vor dem nächsten Bohrhaken zu queren und der Fels gletschergeschliffen und strukturlos. Not so amusing. Immerhin folgt die plattige Crux erst danach, die sich auch durch eine recht texturlose, glasige Felsoberfläche auszeichnet.

Coole Badewanne am Beginn von L11 (6a+). Der nächste Bolt lässt ab hier 20m auf sich warten.

L12 3b

Trotz den laut Topo geringen Schwierigkeiten bleibt der Fels schön und kompakt, man steigt zuletzt auf ein grosses Felsband aus. Hier gilt es dann den Stand zu erspähen, den man unangenehmerweise recht plattig und sicher schwieriger als 3b mit einer deutlichen Rechtsschleife anklettern muss.

Rückblick auf die Felsstufe in L12 (3b). Die letzten (ungesicherten) Meter zum Stand sprengen aller Wahrscheinlichkeit den dritten Grad.

L13 6b+ (Micro-Cams, #0.75, #2)

Hier ist recht offensichtlich wo durch, wurden auf dieser Länge doch "ganze" 5 BH investiert. Auch ist diesmal die Platte immerhin trocken, lediglich zu Beginn sifft es aus der Verschneidung oberhalb vom Stand. Der erste Schritt aus dem Stand ist schon mal etwas knifflig, immerhin lässt sich die Nässe halbwegs umschiffen. Führt man keine Microcams mit, ist der erste (relativ einfache) Abschnitt entlang der Verschneidung ungesichert zu absolvieren, erst am Ende passt dann #0.75. Im Weiteren ziehen die Bolts direkt in die Knallerplatte...der erste unmöglich anmutende Runout nach BH2 lässt sich noch links umgehen und dann wieder zurück zu BH3 queren. Der Weg zu BH4 verlangt dann einen unangenehm zwingenden Reibungsmantle und danach bräuchte es stärkere Nerven als meine um noch den direkten Weg zu BH5 auf sich zu nehmen. Hier ermöglichten es mir ein paar Strukturen nach weit rechts an die grosse Schuppe auszukneifen, wo man einen #2 versorgen kann. Von hier könnte man halbwegs moderat (aber immer noch rein auf Reibung) zurück zu BH5 queren. Das schien mir in dem Moment aber auch zu viel verlangt, sodass ich BH5 wortwörtlich links liegen liess und entlang von schöner Struktur recht kommod meine Rechtsschleife zum Stand vollendete.

Anmerkung: Beim Abseilen haben wir die direkte Linie nochmals ausgecheckt und konnten alle Stellen auf Anhieb klettern, ausser bei BH #2, wo ich im ersten Versuch tatsächlich abrutschte. Die Herausforderung dieser Länge war also für uns zu einem grossen Teil mentaler Natur - will man die direkte Linie durchziehen, muss man wohl oder übel das Commitment mitbringen sich deutlich zwischen den Haken zu engagieren.

Auf gehts in die Knallerplatte von L13 (6b+).

L14 5c+ (Micro-Cams, #0.5)

Zunächst gehts noch Platten-schleichend weiter, im oberen Teil unterstützen dann einige Kanten und Risse das Vorankommen. Nicht trivial, aber zumindest keine haarsträubende Angelegenheit.

Etwas entspannter gehts in L14 (5c+) dahin.

L15 5a

Ab hier ist der Fels nicht mehr so kompromisslos kompakt, was auch der Vegetation merkbar mehr Angriffsfläche bietet. Besonders diese Länge ist eher wieder ein Übergang. Hat es zu Beginn noch zwei BH, muss man den dritten & letzten BH, der den Weg nach rechts markiert, wieder etwas suchen. Der Stand folgt kurz darauf, etwas schwierig zu sehen neben einer Kante.

L15 (5a) bietet nicht gerade den allerbesten Fels.

L16 6a+

Gewohnt plattig geht es weiter rechts haltend, allerdings findet man immer wieder greifbare Struktur. Am Ende einer netten Verschneidung findet man dann auch die kurze Crux in steilplattiger Manier. Insgesamt kam uns diese Länge aber recht homogen und angenehm zu klettern vor.

Auftakt von L16 (6a+), der Fels ist besser als das Gras im Bild den Anschein macht.

L17 6a+ (Offset-Keil #10, #0.4)

Schwierigkeitstechnisch vergleichbar zur vorherigen Länge, aber in der Absicherung markant spärlicher (3 BH insgesamt) - ich musste tatsächlich einige Male über die gefühlt fehlenden BH ausrufen. Die plattige Crux findet man zumindest direkt beim Stand und danach kann man unmittelbar klippen, aber dann kommt lange - nix. Während man zuvor die mobilen Sicherungen allenfalls als optional betrachten konnte, fand ich sie hier absolut zwingend will man nicht quasi-free-solo in verschärftem Gelände unterwegs sein. Für das erste Placement schien mir ein Keil die perfekte Wahl, der Cam #0.3 oder etwas kleiner ginge notfalls auch, sitzt aber weniger gut. Auf jeden Fall sollte man sich hier ob der folgenden steilplattigen Moves nicht mit einem mittelmässigen Placement zufriedengeben. Etwas später kann man dann noch einfacher einen Cam #0.4 versenken. Hoffentlich hat man sein mentales Pulver dann bis BH2 noch nicht verschossen, denn hier gilt es dann nochmals den vielleicht anspruchvollsten Runout der Länge zu bewältigen. Wirklich schwierig war die niedrige Verschneidung im Nachhinein betrachtet ja nicht - aber im Vorstieg sah ich vor allem das Risiko meterweit über der letzten Sicherung und meterweit unter der nächsten im plattigen Gelände in eine potenziell brenzlige Situation zu kommen. Um das Risikopotential zu senken würde es nicht viel brauchen, ich denke mit nur 2 Bolts mehr wäre hier schon viel erreicht.

Rückblick auf die sehr spärlich abgesicherte L17 (6a+) - der heikelste (aber beileibe nicht einzige) Runout dieser Länge zieht sich vom BH2 (Kletterer im Bild) bis zu der sichtbaren Exe in BH3.

Aus zeitlichen Gründen endete unsere Begehung an dieser Stelle nach 8:30 Stunden um kurz vor 17:30 Uhr. Motiviert wären wir schon noch gewesen, aber angesichts der weiten Abseilstrecke schien es uns opportuner das verbleibende Licht für die Fahrt talwärts zu nutzen. Auch so mussten wir die Stirnlampen beim Abseilen installieren, weil ohne wäre es zappenduster gewesen und massiv schwieriger die Abseilstände zu finden. Und schnell geht das Abseilen im plattigen Gelände dann leider auch nicht, wir benötigten doch gut 2 Stunden für die 16 Manöver (L2+L3 lässt sich leicht verbinden).

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Furka - Sunnig Berg - Via Matthias (6b+)

Handegg - Howalthlon

Teufelstalwand - Laura (7a)