Handegg - Boulder Highway
Im Zuge der rasanten Erschliessung der Handegg-Platten im Jahr 1979 wurde auch der Boulder Highway von Howald und Feederle durch die vom Gletscher polierte Benzinplatte gelegt, welche sich in der Mitte des Oelbergs befindet, zwischen bekannten Plaisir-Routen wie dem Siebenschläfer zur Linken und der Handeggverschneidung zur Rechten. Ein Bericht von anno dazumals lobt die Route als "ungewöhnlich großartige Plattenkletterei", allerdings hätten die Erstbegeher 12 Haken zur Fortbewegung benötigt was bereits den hohen Anspruch an Freikletteraspiranten andeutet. Für uns waren diese Informationen Grund genug den Boulder Highway als potentielle Etappe in unser Projekt Howalthlon aufzunehmen und als wir vor Ort feststellten, dass die Route kürzlich saniert wurde gab es keinen Zweifel mehr!
Beim Elektrizitätswerk KWO (P. 1309) parkend (partielle Parkverbote beachten) hat man bereits einen guten Blick auf den Oelberg. Der Zustieg erfolgt an den KWO Gebäuden vorbei wo einem dann sogleich unübersehbar die Steinmännchen den Weg zu den Kletterrouten weisen. Nach ca. 15min steht man beim Einstieg des Steinbeisserwegs auf ca. 1450m Höhe (zwischen den Einstiegen von Engeliweg und Handeggverschneidung). Über die Verlängerung dessen erster Länge (5b) nach links gelangt man zum Einstieg des Boulder Highway. Alternativ kann man weiter dem Pfad entlang aufsteigen und dann etwas heikel übers Band nach links queren.
Der Einstieg vom Steinbeisserweg, ziemlich genau hinter dem Block
in der Mitte des unteren Bildrandes. |
Auftakt über Einstiegsplatte zum steileren Teil der Wand. Der erste Haken wartet dann nochmal ca. 10m über dem Boden was einen schon kurz zögern lassen kann. Am Weg kann man allerdings zwei gute Microfriends versorgen. Ausserdem erfolgt die Kletterei an positiven Leisten zum Greifen und Stehen, sodass die Nerven nicht über Mass strapaziert werden. Im Gegensatz zur Original-Linie macht man seit der Sanierung bereits am Beginn der grossen Verschneidung Stand und geht dann weiter nach links in die kleine Verschneidung von L2 statt der grossen Verschneidung rechts zu folgen wo sich oberhalb noch der alte Stand befindet. Früher folgte man wohl den Strukturen rechts, musste dafür aber wieder zurückpendeln.
Einstiegsband und L1 (5b), weiters sieht man bereits den Verlauf von L2 (6b+ 2 p.a.). |
L2 35m (VIII-, 6b+ 2 p.a.)
Ganz im Gegensatz zur ersten Länge stecken hier die Inox-Haken viel dichter als auf dem Originaltopo. Die ersten Meter zur kleinen und glatten Verschneidung erfolgen wiederum an soliden Leisten, sodass die ersten clips schnell gemacht sind. Hier lässt sich bereits ergründen warum dieser Sektor als “Benzinplatte” bekannt ist. Der Fels ist nicht nur glatt geschliffen, sondern auch noch poliert, sodass er, obwohl staubtrocken, nass erscheint, als hätte man ihn mit Benzin übergossen. Der erste Freiklettertest erfolgt in Form eines sehr langen Boulderzuges (oder Dyno…) an die nächste Leiste. In der Mitte der Verschneidung verschwinden die ungewöhnlich guten Leisten dann leider gänzlich und man ist nur noch mit glattem Fels konfrontiert. Das freie Weiterkommen scheint hier ziemlich hoffnungslos, vor allem bei heissen Temperaturen. Am Ende der Verschneidung muss man nochmals eine ähnlich glatte Platte überschreiten um an den Stand über der kleinen Dächli-Stufe zu gelangen. Um Zeit zu sparen, fühlen wir diesen Stellen nicht länger als nötig auf den Zahn und bedienen uns der eng gesteckten Bohrhaken. Dadurch lässt sich die Schwierigkeit nicht so leicht beziffern, ist wohl auch stark abhängig von Temperatur und der Gummimischung an den Füssen...
Aufnahme der glatten Verschneidung von L2 (6b+ 2 p.a.) durchs Fernrohr. Foto by M. Kofel. |
L3 30m (VII+, 6b+ 2 p.a.)
Nun folgt zuerst der erste der vielen Quergänge, die notwendig sind um die kletterbaren Systeme dieser Wand zu verbinden. Bei dem Anblick der Politur und Neigung sparen wir uns jeglichen Freikletterversuch und hangeln uns (abhängig von der persönlichen Spannweite) an zwei Bohrhaken über den Quergang. Im Originaltopo steht, diese Länge sei mit VII+ machbar...wer weiss, wir können es auf jeden Fall nicht bestätigen. Nach dieser Rechtsquerung zieht die Linie wieder nach links, zuerst über grobe Schuppen (cam), und dann über geniale mannshohe Felswellen. Da im Gegensatz zur vorherigen Länge die Zahl der Haken hier nicht erhöht wurde, erfordert das Weiterkommen allerdings zwei recht engagierte mantles um die sloprigen Buckel zu erbouldern. Je nach Körpergrösse wird man sich hier verschiedener Techniken bedienen. Entweder man macht einen burn-out dyno (die Füsse befinden sich vor dem Absprung an der Haftgrenze), oder man schafft es irgendwie sich mit kleinsten Schritten hoch genug zu schleichen um dann den mantle statisch anzusetzen. Zur Belohnung befindet sich der Stand ebenfalls in einer dieser hübschen Granitmulden.
Da hat man gut lachen bei den kurzen Hakenabständen in der Techno-Querung zu Beginn von L3 (6b+ 2 p.a.). |
Erneut startet man querend, diesmal aber nach links und mit den Füssen auf einem deutlich gutmütigeren sloper-rail. Just in dem Moment wo das sloper-rail plötzlich abschüssiger wird, taucht ein rettender crimp zum krallen auf, sodass die Erstbegeher auf dieser 10m Querung einen Haken wohl für unnötig bzw. zu aufwendig erachteten. Dass hier bei der Sanierung ein Haken hinzugefügt wurde ist durchaus erfreulich, denn unter Adrenalinmangel leidet man trotzdem nicht. Nach der Linksquerung geht es an Schuppen gerade hoch, sodass man zunächst einen Microfriend unterbringt, dann eine Zackenschlinge und kurz vor dem Stand sogar noch zwei neue Bohrhaken vorfindet (ursprünglich war diese Länge komplett clean).
Sloper-Rail Quergang am Beginn von L4 (5c). |
Der Anblick der nächsten Länge verspricht Abwechslung vom sonst üblichen Reibungsterror, denn man sieht sich einer griffigen Rissverschneidung gegenüber, welches zunehmend in ein Dächli mündet. Dementsprechend spriesst im Fingerriss einiges an Gras, aber es bleibt genug Platz für Finger und gear. Obwohl diese Länge wohl clean machbar wäre, findet man drei zusätzliche Bohrhaken zur Beruhigung. Die crux liegt in der bouldrigen Überwindung des Dächli, welches rechts mit einer Kante und links mit einer Rissspur ausgestattet ist. Nach kurzem Probieren findet sich eine Sequenz von heel-hook rechts, höher greifen rechts, höher greifen links als Seitgriff, linken Fuss auf einen guten Tritt in der Rissspur. Genial!
Fingerriss-Verschneidung und Dächli-Kanten crux in L5 (6b+). |
Wie könnte es anders sein, quert man hier als Erstes nach links. Aber was für eine Querung! Hier ist wirklich Kreativität gefragt, sonst steht man arg an, auch weil diesmal selbst nach der Sanierung kein Haken steckt. Voll zwingend muss man auf abschüssigstem Terrain abwärts (!) manteln um auf der anderen Seite einen grasigen Risskanal zu erreichen. Hier passt der 1er friend gut, aber für den Nachsteiger wäre es sehr angenehm, wenn man den friend nach dem klippen des nächsten bolts abkletternd oder ablassend wieder entfernt, um eine Sicherung von oben zu ermöglichen. Nach dem Risskanal trifft man auf einen alten Stand der Nachbarroute Jim Knopf, bevor man dann über eine kurze Verschneidung wieder auf plattigstest Gelände gelangt, wo es sich zunächst noch schleichen lässt, aber irgendwann die Kombination von Neigung und Reibungskoeffizient doch die kritische Schwelle unterschreitet. In diesem Moment erkennt man linkerhand rettende ledges, jedoch deutlich ausser Reichweite. Deshalb bleibt einem wohl, wie im Originaltopo angedeutet, ein Pendelquergang nicht erspart. Da sich die ledges ca. auf gleicher Höhe wie der letzte Bohrhaken befinden, ist das pendeln gar nicht mal so trivial und erfordert einiges an Schwung holen…
Kreativer downward-mantle zum Auftakt von L6 (6b 2 p.a.) |
Da man sich der Platte nach dem King-Swing Manöver noch nicht ganz entzogen hat, müssen zu Beginn noch einige tricky Meter in der seichten Andeutung einer Verschneidung geklettert werden. Dadurch erreicht man das Riss-Dächli oberhalb, welches dankenswerterweise einen soliden friend aufnimmt. Könnte man von unten denken, dass nun eine harte Passage entlang dem Riss-Dächli folgt, so wird in loco schnell klar, dass zuerst eine weitere Querung unter dem Dächli nach links ansteht. Zwar ist diese Stelle völlig grifflos, aber dafür mit einem perfekten (sprich positiven) Tritt-rail ausgestattet, sodass die Querung, auch dank Bolt zur Halbzeit, recht gut gelingt. Schlussendlich gilt es am linken Ende des rails doch das Dächli zu gewinnen, was aber eine ungewöhnlich griffige Angelegenheit an Schuppen ist. Trotzdem legt man gern vorher noch einen kleinen friend in den Riss. Tolle Länge!
Dem Seil entlang findet man in L7 (6b) zuerst den Hauch einer
Verschneidung, danach ungewöhnlich entspannte Querung nach links auf einem perfekten Tritt-rail. |
Wer hier noch Adrenalin im Tank hat, der wird es spätestens jetzt los. Und was eignet sich dazu besser als ein Psycho-Quergang!? Zuerst möchte aber, nach einem schuppigen Auftakt, noch die ominöse A0 Stelle im Originaltopo überwunden werden. Wer hier enttäuscht ist, dass man nicht frei weiterkommt soll erstmal den A0 Boulder versuchen...der Haken steckt so hoch, dass es gar nicht so einfach ist irgendwie den Fuss (geschweige denn den Rest) auf den Bolt zu bringen. Aber jetzt zum Quergang. Steckt eingangs noch ein bolt, so ist der Weg zum nächsten Bolt weit und setzt garantiert die letzten Adrenalinreserven frei. Zur Fortbewegung findet man lediglich ein paar Flecken mit weniger glatter Textur und (immerhin) ein paar micro-crimps. Was man hier aber vor allem braucht ist der Glaube, dass es irgendwie schon geht...ob unsere Stossgebete erhört wurden sei dahingestellt, auf jeden Fall hatten wir es schlussendlich beide geschafft. Geschafft? Naja, nicht ganz, warten doch noch einige anhaltende Schleichmeter bis zum Stand…wichtig ist es hier auf jeden Fall links zu halten, und sich nicht von den Haken der Mississipi nach rechts oben locken zu lassen!
Zuerst folgt man in L8 (6b+ 1 p.a.) den Schuppen rechts, bevor
der A0 Boulder folgt. Danach deutet der Seilverlauf auch schon den Psycho-Quergang an. |
L9 35m (V+, 5b)
Im Vergleich zum geschlossenen Granitpanzer der Benzinplatte mutet die letzte Länge fast schon etwas alpin an. Dementsprechend findet man nur die alten Schlaghaken vor und wir konnten auch keinen neuen Abseilring entdecken. Den alten, rostigen Abseilring entdeckten wir erst beim abklettern, da er schon halb überwachsen war...obwohl nicht übermässig vertrauenserweckend, hielt er stand. Danach ging es nach ca. 5:30 Stunden Kletterei mit fünf Abseilmanövern (60m Seile) zügig zurück an den Steinbeisser Einstieg.
Kurzer Blick zurück in L9 (5b). Die Route verläuft zuerst etwas links und dann ziemlich gerade hoch. |
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Kurzgefasst
Sohlen- und nervenaufreibende Kletterei, die sich vor allem durch ihre Vielfalt an spärlich oder minimal gesicherten Quergängen auszeichnet. Verschneidungen, Dächli-Kanten und Risse garnieren den fusslastigen Verlauf, ebenso stehen einige mantles am Programm.
Die Benzinplatte scheint im Gegensatz zu anderen Sektoren meist von Wasserstreifen verschont zu bleiben (ausser rechts in der Mississipi, nomen est omen...). Daher kann man einen frühen Start durchaus in Erwägung ziehen, vor allem auch um der Nachmittagssonne und dem damit sinkenden Reibungskoeffizienten zu entgehen.
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